EXPODATA 06/12: Innovationen in Technologie und Format

Interview mit Claudius Brodmann und Johannes Milla

Welche technologischen Innovationen werden in Zukunft die Kommunikation auf Messen verändern? Was bedeutet das für die Gestaltung von Messeständen und ihre Rolle im Kommunikationsmix? Die Redaktion sprach mit Johannes Milla, Geschäftsführer von Milla & Partner, und Claudius Brodmann, Kreativdirektor im hauseigenen Innovationslabor der Agentur.

Herr Brodmann, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit digitalen Kommunikationsformaten in realen und virtuellen Räumen. Welche technologische Innovation wird die Kommunikation im Raum verändern?

Brodmann: Sensoren , die auf Licht und Bewegung reagieren, wie die Kinect, eröffnen ganz neue Interaktionsmöglichkeiten, z.B. über Körperbewegungen. Aus Sicht des Anwenders sorgen sie quasi für eine Dematerialisierung von Eingabegeräten, können die Grenzen zwischen realen und digitalen Räumen auflösen. Vor drei Jahren, als die Kinect noch nicht auf dem Markt war, haben wir zusammen mit dem Heinrich-Hertz-Institut aus Berlin verschiedene Formen der berührungsfreien Gestensteuerung entwickelt. Im Deutschen Pavillon auf der EXPO in Shanghai konnten wir beobachten, wie verblüfft die Leute von dieser Technik waren und auch, dass die User in der Gestensteuerung noch ungeübt sind. Das wird sich ändern. Vermutlich werden sich durch die Verbreitung der Kinect bald allgemein übliche Gesten herausbilden – so wie das iPhone als Lifestyle-Produkt dafür gesorgt hat, dass heute jeder die Prinzipien der Touch-Semantik kennt.

Apropos iPhone: Die mobile Kommunikation und die Mobilisierung des Internets haben natürlich sehr viel verändert. Übers Handy erhalten Sie einen fast intimen Zugang zum Nutzer, können für ihn persönlich maßgeschneiderte Erlebnisse generieren. Und in Verbindung mit ortsbezogenen Diensten und Augmented-Reality-Anwendungen ist mobile Kommunikation ideal, um verschiedene Erlebnisse miteinander zu vernetzen und die Grenzen zwischen realen und virtuellen Räumen aufzulösen.
Tief gehenden Einfluss auf Kommunikation im Raum haben außerdem die Prinzipien des Web 2.0, vor allem dort, wo es darum geht, einen Dialog über die physische Begegnung hinaus auszudehnen.

Herr Milla, wie wichtig ist der Einsatz solcher Technologien für den Erfolg von Messeauftritten?

Milla: Sie eröffnen viele neue Möglichkeiten, aber sie sind natürlich kein Selbstzweck. Wie jedes andere Kommunikationsinstrument sind auch Sensoren, Augmented Reality oder Social-Media nur dann sinnvoll, wenn sie dem Kommunikationsziel dienen und die Zielgruppe ansprechen. Die eigentliche Stärke von Messeauftritten ist die persönliche Begegnung. Die sollte auf keinen Fall in den Hintergrund rücken. Innovative Kommunikationstools und Schnittstellen können aber dazu dienen, die Neugier von Besuchern zu wecken, sie in ein Thema hineinzuziehen. Zugleich können sie durch Individualisierung von Informationen den persönlichen Nutzen erhöhen und den Dialog über die Begegnung am Messestand hinaus ausdehnen.

Sie haben das Know-how für neue Kommunikationsschnittstellen im Raum bei Milla & Partner in einem eigenen Innovationslabor zusammengezogen. Warum?

Milla: Während interaktive Anwendungen bislang oft als Vereinzelungsmaschinen gewirkt haben, entwickelt unser Innovationslabor die „Interaktion“ weiter zur „Interkonnektion“. Das heißt, wir arbeiten an Interfaces, die ganze Gruppen involvieren und den Dialog fördern. Wir wollen dazu beitragen, dass Menschen mit ähnlichen Interessen zueinanderfinden, sich austauschen, gemeinsam etwas erleben und vielleicht auch gemeinsam etwas bewegen. Wenn Sie so wollen, geht es darum, das Prinzip „Social Media“ auf die Kommunikation im Raum zu übertragen. Es geht um Partizipation, darum, Menschen zu involvieren und sie zu Teilhabern zu machen.

Entwickeln Sie dafür völlig neue Technologien?

Brodmann: Unser Ziel ist nicht, neue Hardware zu entwickeln, sondern neue, vernetzte Kommunikationsformate. Wir nutzen bestehende Technologiebausteine und rekombinieren sie. Die Innovation liegt darin, welche neuen Möglichkeiten der Vernetzung, Verknüpfung und Verteilung von Inhalten wir schaffen und nutzen, wie wir Inhalte, Technologien und Design im Raum verbinden, so dass sie die Neugier der Besucher wecken, sie aktivieren und in eine Geschichte hinein ziehen.

Können Sie eine konkretes Beispiel oder eine konkrete Anwendung beschreiben?

Brodmann: Wir haben schon eine Reihe funktionsfähiger Prototypen entwickelt, die wir dann - je nach projektbezogener Aufgabenstellung - gemeinsam mit unseren Auftraggebern weiterentwickeln. Ein gutes Beispiel ist der ioFUNKE. Das ist ein handliches mobiles Tool, das völlig intuitiv funktioniert. Der ioFUNKE kann Inhalte individualisieren, also z.B. in der jeweiligen Sprache des Nutzers ausspielen oder seinem Kenntnisstand anpassen. Das ist besonders nützlich, wenn die Besuchergruppe bunt gemischt ist. Mit diesem Tool in der Hand werden die Besucher außerdem zu Entdeckern und Sammlern von Informationen und Eindrücken, die sie mit anderen teilen und dauerhaft abrufen können. Unser Funke kann Menschen mit gleichen Interessen zusammenbringen, kann Exponate und Installationen aktivieren. Er macht das möglich, was wir reaktive Räume nennen, deren smarte Technologie kaum wahrnehmbar im Hintergrund wirkt. Durch Partizipation der Besucher können wir ein hohes Maß an Immersion erreichen, ein ganzheitliches Eintauchen in die Thematik.

Lohnt der Einsatz solcher Tools auch im temporären Markenraum Messestand?

Milla: Das kommt darauf an, welche Ziele das Unternehmen mit dem Auftritt verfolgt, wie viele Inhaltsebenen es gibt, wie heterogen die Zielgruppe ist und wie der Messeauftritt mit vor- und nachgelagerten Maßnahmen vernetzt werden soll. Gerade vor dem Hintergrund der Übertragung von Social-Media-Prinzipien auf die räumliche Kommunikation haben solche Tools nach unserer Einschätzung ein enormes Potenzial, um die Kommunikationskette auszubauen. Unabhängig von den Möglichkeiten der Vernetzung mit vor- und nachgelagerten Kommunikationsmaßnahmen , können solche Tools auch wertvolle Informationen zur Auswertung des Messeauftritts liefern. Welche Exponate wurden wie oft angesteuert, wie viel Zeit nehmen sich die Besucher im Schnitt für ein Ausstellungsstück. Welches Exponat wurde links liegen gelassen. Wo besteht Handlungsbedarf? Und: Die Auswertung liegt sofort vor: Noch im laufenden Messebetrieb kann reagiert werden. Zudem können Aussteller anhand digitaler Angebote bestens Kontakt zu ihren Besuchern halten und nachvollziehen, wofür diese sich interessieren. So lässt sich der individuelle Dialog weit über den eigentlichen Ausstellungsbesuch hinaus verlängern.

Was sind die Qualitätskriterien von Kommunikations-Tools für die Messe von morgen?

Milla: Das Konzept für die Kommunikation am Messestand sollte sich nicht nach der gerade neuesten Hardware richten, sondern immer ausgehend vom Kommunikationsbedarf und -ziel entwickelt werden. Die Technik darf Neugier wecken, faszinieren oder überraschen, aber letztlich muss sie der Kommunikation dienen, zum Dialog anregen, sich optimal in die gewünschte Kommunikationskette einreihen.

Brodmann: Die Interaktion darf nicht künstlich wirken, muss zur Marke und zur Botschaft passen, dem Anlass angemessen sein. Auch die Wahl des Mediums selbst ist schon eine Botschaft. Die Interaktionsschnittstellen müssen auf die Zielgruppe abgestimmt und bequem zu bedienen sein, die Interaktionsprinzipien leicht verständlich - Stichwort Usability, Ergonomie, intuitive Bedienbarkeit.

Werden Messen in 20 Jahren noch den gleichen Stellenwert fürs Geschäftsleben haben wie heute?

Milla: Messen werden nie überflüssig werden, weil die persönliche Begegnung mit Menschen und Marken eine besondere Qualität hat, die durch nichts zu ersetzen ist. Aber Messeauftritte müssen sich was ihren Nutzen angeht, stärker im Vergleich mit anderen Kommunikationsformen messen. Da kommt es darauf an, die definitiven Vorteile, die der Messestand, hat noch effektiver zu nutzen. Wir können das räumliche Erlebnis individualisieren, den Austausch von Informationen verbessern, mehr Begegnungen mit den passenden Gesprächspartnern herbeiführen, mehr Dialoge anregen und über die physische Begegnung hinaus weiterführen, Communities initialisieren.

Wie sieht Ihre Vision von der Messe der Zukunft aus?

Brodmann: Viele Exponate werden ganz oder teilweise dematerialisiert sein und erst durch flexibel einspielbare Text-, Bild- und Toninhalte Gestalt annehmen. Clevere Contentmanagementsysteme, über die Aussteller Inhalte – vom Corporate Design bis zu den aktuellen Preisen der neuesten Modelle – cross-medial verwalten, flexibel und bequem an Situationen anpassen können, werden eine große Rolle spielen, ein Feld, mit dem wir uns im Innovationslabor schon intensiv beschäftigt haben. Auch die Individualisierung des Besuchserlebnisses wird zunehmen. Neue Sensoren und Schnittstellen werden dafür sorgen, dass sich die Umgebung an die Bedürfnisse der Besucher anpasst, z.B. die Beleuchtung am Abend oder das Besucherleitsystem. Es wird vermehrt reaktive Exponate und Messestände geben, die sich der Aufmerksamkeit und dem Interesse der Besucher anpassen. Durch solche reaktiven Räume und die Weiterentwicklung von Mobile-Media und Augmented-Reality-Apps werden die Übergänge zwischen realen und virtuellen Räumen noch fließender.

Die Ansprache und Vernetzung der Besucher und Aussteller vor und nach der Messe durch Mobile und Social-Media wird stark zunehmen. Das kann so weit gehen, dass ein Event am Messestand zu einer Art Initiationsritus für eine dauerhafte Community wird. Durch die zunehmende Vernetzung und die Weiterentwicklung von Augmented Reality wird die Kommunikation im Raum in den architektonischen, in den urbanen und in den globalen Handlungsraum expandieren, zum Beispiel in Form von Street Gallerys in denen Kunstwerke über getaggte Häuserwände auf dem mobilen Display sichtbar werden. Es wird intelligente Apps geben, die als Matchmaker der Bedürfnisse von Kunden und Angeboten fungieren. Das sogenannte „Internet der Dinge“ wird sich über die Messe ausbreiten.

Milla: Die Messe der Zukunft ist eine Messe, auf der ich als Besucher keine Prospekttüten herumschleppen muss und trotzdem viel mit nach Hause nehme. Einfach in der Hosentasche – über smarte portable Tools wie unseren ioFUNKE oder per Handy. Das sind Messestände, auf denen ich mich unbeschwert auf die Begegnung mit dem Aussteller-Unternehmen und seinen Mitarbeitern einlassen kann, auf denen ich genau die Leute treffe, die mich in meinen Vorhaben weiterbringen.

Innovationen sind aber nicht nur in der Kommunikationstechnologie gefragt, sondern auch in dem Format des Messestands selbst. Ich glaube, es wird mehr Themen-Inseln geben, die das übliche Hallen-raster und das eigentliche Messethema sprengen, so wie das z.B. unserem Kunden GFT mit der Präsentation der Gewinner des Wettbewerbs CODE_n auf der CeBIT 2012 gelungen ist.
Messen werden immer mehr zu Events, und Events werden zu Messen. Die Bedeutung des Kommunikations- und Begegnungsraums gegenüber dem reinen Präsentationsraum wird zunehmen. Und das ist gut so. Denn das ist ja genau das, wofür Messen da sind: Für die Begegnung zwischen Menschen und Marken.

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