PAGE 12/10: Die Macht der Zeichen

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Markenkommunikation lebt von prägnanten Zeichen - sei es, um Orientierung zu schaffen oder Markenwerte einprägsam zu inszenieren. Wir geben Einblick in die hohe Kunst, schnell verständliche und gleichzeitig einzigartige visuelle Zeichensysteme für den Mediendschungel zu entwerfen.

Eine legendäre und eine brandneue Luxuskarosse, daneben ein glänzender Flügel - gemeinsam in Szene gesetzt, jeweils auf einem sehr edel geschwungenem Gewebe, auf dem die dynamischen Linien der Objekte weitergeführt werden. Beim Betreten des Raumes erklingt ein Konzert für drei Klaviere, dessen drei Sätze eine Hommage an die drei Exponate sind: den Steinway-Flügel, den Flügeltürer 300 SL sowie an die neue Generation der Mercedes-SL-Klasse. Angelehnt an den Dreiklang als grundlegenden, Harmonie stiftenden Akkord kommt der Zahl Drei in der Mercedes-Benz-Wanderausstellung "The Shape of Perfection" eine zentrale Bedeutung zu. Doch was haben ein Musikinstrument und ein Auto eigentlich gemeinsam?

Steinway & Sons und Mercedes-Benz sind Traditionsmarken für hochwertige, technisch komplexe Gebrauchtgegenstände, die zudem eine lange Kooperationsgeschichte miteinander verbindet: Die Immigrantenfamilie Steinway handelte zu Beginn des 20. Jahrhundert nicht nur mit Flügeln, sondern importierte auch Premiumprodukte wie Autos in die USA. Ein Feuerwerk der Zeichensysteme auf unterschiedlichen Ebenen also, die die Stuttgarter Agentur für Kommunikation im Raum, Milla & Partner, virtuos miteinander kombiniert. Markenwerte werden mit Grafik, Farben, Materialien und Formen ins Visuelle und mit dem eigens für Mercedes komponierten Klavierstück ins Akustische transformiert.

Der Begriff des Flügels stellt als verbales Zeichen eine Verbindung zwischen dem Musikinstrument und der Türtechnik des Autoklassikers dar. Auch die zeitliche Dimension erhält in der 3-D-Kommunikation ikonischen Charakter, der aber, so Johannes Milla, Kreativdirektor und Geschäftsführer von Milla & Partner, noch häufiger unterschätzt werde. "Wie schnell fühlt sich eine Marke an? Der Faktor Geschwindigkeit in der menschlichen Wahrnehmung hat eine enorme Bedeutung für Markeninszenierungen", betont er. „So wie ein Apple Store mit seiner räumlichen Verdichtung und dynamischer Musik einen Raum der Beschleunigung zu sein scheint, haben wir mit "The Shape of Perfection" für Mercedes einen Ort der Entschleunigung geschaffen."

Alles kann also Zeichen sein, wie schon die Semiotiker Charles Sanders Peirce und Umberto Eco feststellten. Gesten, Schrift, Architektur, Kleidung ebenso wie ihr Fehlen. Für Gestalter keine überraschende Erkenntnis - doch lohnt sich ein neuer Blick auf unseren Zeichenbegriff im Kontext ganzheitlicher Markenkommunikation. Denn schließlich werden Medienkanäle als Zeichenträger immer vielfältiger, die Zielgruppen globaler Brands heterogener; und das Tempo, in dem wir uns in der aktuellen Informationsflut orientieren müssen, nimmt zu. Beschränken wir uns der Übersichtlichkeit halber auf die Entwicklung bildhafter Zeichensysteme - eine klassische Gestaltungsaufgabe, die Designer immer wieder herausfordert. Denn egal, ob es sich um symbolische Elemente einer visuellen Identität oder um Signalzeichen für optimale Bedienbarkeit, beispielsweise Icons oder Piktogramme, handelt: Das Herauskristallisieren einer Essenz erfordert Disziplin und Feingefühl, und so ist die Auseinandersetzung mit Semiotik, also mit der Funktion und Bedeutung von Zeichen in unserer Umwelt, immer auch eine gute Hilfe, um zu eigenständigen, kreativen Lösungen zu gelangen.

Was muss ein zeitgemäßes Markenzeichen bieten? "Es sollte mit einer eindeutigen Idee, einer Haltung aufgeladen sein, die gewünschte Assoziationsketten hervorrufen, international verständlich sein und sich für alle Medienkanäle adaptieren lassen", meint Wolf Schneider, Design-Chef bei Scholz & Friends. "Das christliche Symbol des Kreuzes ist das Exempel für ein zeitgemäßes Markenzeichen, ein Zeichen, das die gesamte Weltbevölkerung versteht, und das die alten Baumeister mit der Form des Kirchenschiffs sogar in die Corporate Architecture übertragen haben." Dass seine maximal reduzierte Form nicht langweilig wird, sei seiner visuellen Flexibilität und medienübergreifenden Variabilität zu verdanken. Wie diese Grundsätze auf zeitgemäße Erscheinungsbilder übertragen werden können, zeige, so Wolf Schneider, das Deutsche-Bank-Logo von Anton Stankowski aus dem Jahr 1972. "Jeder Bankmitarbeiter kennt noch heute die Bedeutung von "Schrägstrich im Quadrat": Wachstum und dynamische Entwicklung, Sicherheit und ein kontrolliertes Umfeld. Ein Markenzeichen muss Identität vermitteln, in der externen Kommunikation ebenso wie nach innen funktionieren."

Bei einem vorsichtigen Relaunch des Signets hat Scholz & Friends kürzlich den Schritt in die dritte Dimension vollzogen. Das ermöglicht eine sinnliche Inszenierung im öffentlichen Raum, etwa am Flughafen Berlin-Tegel, wo eine 3-D-Installation des Logos einen Rahmen für Events liefert. Indem die Marke haptisch begreifbar wird und näher an den Kunden und dessen Lebenswelt heranrückt, scheint sie menschlicher zu wirken. Natürlich sind 3-D-Effekte auch ein Zeichen der Zeit, zugleich aber ein Hinweis darauf, dass es immer wichtiger wird, Zeichensysteme dimensionenübergreifend einsetzbar zu gestalten - denn auch die menschliche Wahrnehmung zieht kaum Grenzen zwischen sinnlichen, sprachlichen oder zeitlichen Phänomenen. Die steigende Menge an Information und die Vielfalt der Kanäle erfordern klare Zeichen. "Reduktion gewinnt an Relevanz", prophezeit Wolf Schneider. "Wir müssen visuellen Ballast abwerfen. Mit unserer Mediennutzung hat sich auch unsere Wahrnehmung verändert, es gibt eine Sehnsucht nach Einfachheit und Tradition. Außerdem ermöglicht das Weglassen von Überflüssigem eine maximale Flexibilität in der Anwendung, im dreidimensionalen ebenso wie im virtuellen Raum und außerdem in allen Formaten, also auch daumennagelgroß auf Facebook." Seine handwerklichen Tipps dazu: Durch Kontraste, Größen und Farben eine gute Wahrnehmbarkeit generieren. "Man muss sich dabei immer wieder fragen: Würde ich das Zeichen bewusst wahrnehmen? Beschränke ich mich wirklich auf das Wesentliche, auf die Idee?"

Etwas anders argumentiert Johannes Milla: "Zeichen in der Markenkommunikation müssen eine Übersetzung ihrer Werte bieten. Abstraktion ist nur eine Möglichkeit, eine solche Transformation kann, je nach Marke, auch üppig und ornamental ausfallen." Er bestätigt allerdings, dass Kommunikation oft Einfachheit mit sich bringt, geht es doch immer darum, Zusammenhänge, Institutionen und Produkte visuell auf den Punkt zu bringen. Dass die Mercedes-Ausstellung "The Shape of Perfection" nicht penetrant oder überladen wirkt, hat auch mit der subtilen Übersetzung von Markenimages und Aussagen zu tun, die durch ihre abstrahierten Formen Spielraum für Assoziationen lässt - erinnern etwa die luftigen grafischen Linien nicht nur an rasante Autofahrten, Motorenmessungen und Straßenverläufe, sondern auch an Klaviersaiten, Notenlinien, Frequenzen oder allgemein an Dynamik. Ein Markenzeichen ist eben immer auch Projektionsfläche.

Und nicht nur bei der Imagekommunikation, auch bei der Entwicklung von Orientierungssystemen in realen oder digitalen Welten dürfte Abstraktion in vielen Fällen nicht nur der Einfachheit wegen, sondern auch aufgrund der Codierung sinnvoll sein: Metaphorische Bilder als kleine intellektuelle Herausforderungen helfen, sich nachhaltig im Gedächtnis der Zielgruppe zu verankern. Die Aufgabe von Designern wird es also künftig weniger sein, Markenimages durch eine visuelle Identität zu fixieren, sondern sie an die spezifischen, ebenfalls zeichenhaften Kommunikationssysteme anzupassen. Denn die Medienkanäle dienen dazu, Markenzeichen mit Werten und Geschichten aufzuladen. Dank der Möglichkeiten des Web 2.0 etwa sind Brands zunehmend den Gestaltungsideen und Meinungen der Konsumenten ausgeliefert.

LEGO zum Beispiel ist eine Marke, deren Produkt, der Legostein, längst Symbolcharakter besitzt - für sie ist es kein Problem, die eigenständige Nutzung durch Konsumenten, etwa als nachgestellte Filmszenen, zu akzeptieren. Voraussetzung für einen derart entspannten Umgang mit diesem Kontrollverlust ist das enorme Selbstbewusstsein des Unternehmens - und ein gutes Produkt. Letztlich, überlegt Johannes Milla, müsse Kurt Weidemanns Zitat für die aktuelle Markenkommunikation folgendermaßen ergänzt werden: "Ein Zeichen ist erst dann gut, wenn man es mit dem Zeh in den Sand malen kann - und wenn es dem Publikum eine Plattform bietet, es sich anzueignen und es selbst aufzuladen."

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